skip to content

Notizen & Neues 2012


Ein exakter Plan des Eschweiler jüdischen Friedhofs aus dem Jahr 1942

Veröffentlicht am 14 Dec 2012
Notizen & Neues 2012 >> 2013

Mit gestrichelten Linien ist die Lage von 39 jüdischen Gräbern eingezeichnet, deren Ruhefristen nach Ansicht der damaligen Stadtverwaltung noch nicht abgelaufen waren. Dabei missachtete die Stadt die jüdische Vorstellung eines ewigen Ruherechts und ging von einem Zeitraum von 25 Jahren aus. Der Ausschnitt des Plans auf dem Bild rechts zeigt die Lage der ersten drei Gräber russischer Kriegsgefangener und gestrichelt die ursprüngliche Lage von zwei jüdischen Gräbern. Im unteren war 1919 der an einem Schlaganfall gestorbene Kaufmann Jakob Joseph beerdigt worden.

 

125 „Russengräber“ – so die Benennung auf dem Plan – sind es zum Glück nicht geworden. Eine offensichtlich noch in der Kriegszeit oder frühen Nachkriegszeit gefertigte Liste führt 69 Namen von toten Kriegsgefangenen und Zivilarbeitern auf, ein Aktenvermerk aus dem Jahr 1987 nennt „76 verstorbene Kriegsgefangene“. Auf dem Plan selber sind 23 Gräber mit den Namen der Toten und dem Sterbedatum versehen, 20 auf der ursprünglichen Lichtpause, drei weitere wurden mit Bleistift nachgetragen, bis zum 3.11.1942. Bei den dann folgenden 35 Beerdigungen wurden die Grabstellen nur noch durchgestrichen.

 

Ausgebeutet bis zum Tod

 

Russische Kriegsgefangene wurden ab Jahresmitte 1942 in der Eschweiler Industrie als Arbeitskräfte bis zum Tod ausgebeutet. Als Todesursache ist meist „Allgemeine Körperschwäche“ vermerkt – die Soldaten starben an Hunger und Erschöpfung. Auch unter den so genannten Zivilarbeitern, bei denen es sich tatsächlich um Zwangsarbeiter handelte, waren viele Russen (und Russinnen). Die meisten Kriegsgefangenen arbeiteten im Steinkohlenbergwerk „Eschweiler Reserve“, sie wurden in einem eingezäunten Lager des Eschweiler Bergwerksvereins (EBV) gefangen gehalten. Diese Baracken standen am Wetterschacht im Stadtteil Eschweiler-Ost. Auch die Firma Hoffmann hatte ein solches Lager. Das Kriegsgefangenen-Wachkommando 119, so der offizielle Name des „Russenlagers Wetterschacht“, war mit Stacheldraht umzäunt. Wer fliehen wollte, wurde erschossen.

 

Leichen in Papier gewickelt

 

Wie mit den Leichen der Kriegsgefangenen umgegangen wurde, lässt sich einem Brief entnehmen, der im Oktober 1941 vom Berliner Innenministerium an die Regierungsbezirke ging und von dort weiter an Landräte und Bürgermeister: „Für die Überführung und Bestattung ist ein Sarg nicht zu fordern. Die Leiche ist mit starkem Papier (möglichst Öl-, Teer- oder Asphaltpapier) oder sonst geeignetem Material vollständig einzuhüllen. Die Überführung und Bestattung ist unauffällig durchzuführen. (…) Feierlichkeiten und Ausschmückungen der Gräber haben zu unterbleiben. (…) Die Kosten sind so niedrig wie möglich zu halten.“ Um diese so niedrig wie möglichen Kosten, 7,50 Reichsmark pro Leiche, stritt sich die Stadt Eschweiler dann wiederholt mit dem EBV. Begraben wurden die toten Kriegsgefangenen auf dem Friedhof an der Talstraße von ihren noch lebenden Mitgefangenen.

 

Aus der Geschichte des Friedhofs

 

Der Plan ist wichtig, weil die ursprüngliche Anlage des Friedhofs nicht dokumentiert ist. Nach dem Ende des 2. Weltkriegs war der Friedhof teilweise zerstört und verwahrlost. Die Grabsteine der jüdischen Toten waren bis auf eine Ausnahme (ein schwarzer Marmor-Obelisk als Grabstein von Philipp Stiel, geboren 27. Juli 1834 in Kinzweiler, gestorben am 14. Mai 1904, siehe Foto) noch in der Nazizeit zerstört oder an Steinmetze verkauft worden. Die Gräber der Zwangsarbeiter haben aber noch bis 1956 existiert. In einer Aktennotiz aus dem Jahr 1949 ist von 69 Gräbern „verstorbener Russen“ auf diesem Friedhof die Rede und von weiteren 15 Gräbern auf dem Friedhof Stich. Diese Gräber sollten ganz eilig „instand gesetzt und in einen würdigen Zustand gebracht“ werden, weil sich eine russische Kommission zur Besichtigung angekündigt hatte.

 

1956 beschloss der Stadtrat, den Friedhof aufzuheben, gegen den Rat des Stadtbauamtes und in Unkenntnis der jüdischen Glaubensregeln. Das Grundstück des etwa 1820 angelegten Friedhofs war schon immer in städtischem Besitz, es sollte nun an das benachbarte Gusswerk verkauft werden, als Erweiterungsfläche. Die Gräber wurden eingeebnet, die Überreste der dort Bestatteten zum städtischen Friedhof Stich umgebettet.

Ein Zufall verhinderte die endgültige Beseitigung des jüdischen Friedhofs an der Talstraße. Ein namentlich nicht bekannter, aus Eschweiler stammender Überlebender der Judenvernichtung erfuhr bei einem Besuch in seiner Heimatstadt, dass der Friedhof aufgehoben worden sei, und alarmierte die jüdische Kultusgemeinde in Aachen. So jedenfalls berichtete es eine Zeitzeugin. Die Aachener Gemeinde protestierte sofort gegen die Planung der Stadt. Daraufhin gab es noch im gleichen Jahr 1956 eine Rück-Umbettung zum Friedhof Talstraße. Die Gebeine der russischen Toten wurden zur Kriegsgräberstätte in Rurberg umgebettet. Für die Stadt hatte die Aktion ein juristisches Nachspiel: Das Gusswerk verlangte Entschädigung, weil die Übertragung des Grundstücks nicht zustande gekommen war.

 

Das Friedhofsgelände wurde nach dieser "Rettung in letzter Minute" zu einer Gedenkstätte umgestaltet, in Absprache mit der jüdischen Kultusgemeinde Aachen. Ein Marmorblock, auf dem ein Relief eine fliehende Familie zeigt, erinnert an die jüdischen Opfer des Nationalsozialismus. Als Ersatz für die entwendeten Grabsteine wurden auf acht Grabplatten die Namen aller jüdischen Bürger eingemeißelt, die im städtischen Sterberegister für die Zeit von 1900 bis 1941 verzeichnet sind. Dadurch stehen auch Namen von Menschen auf diesen Gedenktafeln, die nachweislich nicht in Eschweiler beerdigt wurden.

 

Auf der Zeichnung des Friedhofs von 1942 ist zu sehen, dass der Eingang nicht wie heute an der nordwestlichen Ecke des Grundstücks war, sondern in der Mitte der östlichen Mauer. Die Lage der "noch nicht abgelaufenen Gräber", also der Gräber Eschweiler Juden, die zwischen 1917 und 1942 beerdigt wurden, sind gestrichelt eingezeichnet. Leider sind keine Namen aufgeführt, nur die Jahreszahl der Beerdigung. Dennoch lassen sich drei Grabstätten namentlich zuordnen und damit auch ihre ursprüngliche Lage genau rekonstruieren, weil es in diesen Jahren nur jeweils einen Todesfall gab: Sara Heumann 1918, Jakob Joseph 1919 und Marx Stiel 1930. 

 

 

 


Zuletzt geändert am: 03 Jun 2013


Zurück

Coded with valid XHTML, CSS and tested for WCAG Priority 2 Conformance.

Powered by Website Baker, design by Werbeagentur Toporowski

Copyright © 2012 - 2019