skip to content

Notizen & Neues 2015

„Sie fanden ein Skelett, das noch atmete“ - Sanny Altberger überlebte Auschwitz

Veröffentlicht von Administrator (admin) am 28 Jan 2015
Notizen & Neues 2015 >>

Wenn man in der Datenbank der Gedenkstätte Yad Vashem in Israel nach Samuel Altberger sucht, wird man finden, dass er ermordet worden ist: „Samuel was murdered in the Shoah“. Dort steht, dass er in Frankreich verhaftet worden war. Am 12. August 1942 wurde er mit dem Transport Nr. 18 vom Lager Drancy aus in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert: „Nearly all the Jews deported to the extermination camps were murdered in the Shoah“, steht unter den Angaben, die sich auf der Gedenkseite von Yad Vashem zu Samuel Altberger finden. Fast alle Juden... Samuel überlebte.

 

Wie, hat sein Bruder Karl Altberger in zwei Briefen geschildert, einer ging an den Eschweiler Geschichtsverein, der andere wird im NS-Dokumentationszentrum in Köln aufbewahrt: „Er (Sanny) überlebte zweieinhalb Jahre in den Kohlengruben von Auschwitz. Nach dem Krieg erzählte er mir, wie er überlebte. Er hatte das unwahrscheinliche Glück, einer Gruppe von Eschweiler Bergleuten zu begegnen, die unsere Familie kannten und ihm mit Essen und Kleidung das Leben retteten. Er war da schon am Ende seiner Kräfte, wog weniger als 50 Kilogramm. Die Männer sorgten auch für Arbeit außerhalb der Grube. Sie kannten Sanny nur als sehr guten Geräteturner des ETV und nicht als das Wrack, welches vor ihnen stand.“

 

Dabei war Samuel Altberger bereits in Sicherheit gewesen. Er war vor der Verfolgung durch die Nationalsozialisten zunächst in die Niederlande geflohen und hatte in Amsterdam Arbeit gefunden. Auf einem illegalen Auswandererschiff gelangte er schließlich nach Palästina, zusammen mit seinem jüngeren Bruder Karl. Doch 1939 entschloss sich Samuel, mit der Waffe in der Hand gegen die Nazis zu kämpfen. Er wollte sich einer tschechischen Freiwilligen-Truppe anschließen. In Südfrankreich wurde er jedoch aufgegriffen und in ein Internierungslager gesperrt.

Samuel, genannt Sanny Altberger, Jahrgang 1912, war das sechste von neun Kindern des Eschweiler Schuhhändlers Ludwig Altberger, der am Markt drei Ladengeschäfte hatte. Die Familie Altberger stammte aus dem tschechisch-ungarischen Grenzgebiet, Anfang des 20. Jahrhunderts war sie nach Deutschland gekommen. Nach dem Tod der Mutter Regina 1927 verließ die Familie Eschweiler. Zwei Jahre später starb auch der Vater. Von den neun Kindern wuchsen die beiden jüngsten in einem Waisenhaus in Köln auf. Sieben der neun überlebten den Holokaust. In dem farbig markierten Haus Markt 21 in Eschweiler auf dem Bild links wuchs Sanny Altberger als sechstes der neun Kinder von Ludwig und Regina Altberger auf. Das Haus steht nicht mehr, es wurde bei einem Bombenangriff auf Eschweiler 1943 zerstört (Foto: Archiv Eschweiler Geschichtsverein).

 

Dass Samuel Altberger überlebte, war ein doppeltes Wunder. Das erste war die Begegnung mit den Eschweiler Bergleuten, deren Namen nicht bekannt sind. Durch ihre Hilfe wurde er in Auschwitz am Leben erhalten. Doch als die russische Front näher rückte, half auch das nichts mehr. Es gibt keinen Beleg dafür, aber mit einiger Wahrscheinlichkeit war Altberger war unter den 60.000 Häftlingen, die in so genannten Todesmärschen und in Viehwaggons durch das zusammenbrechende Deutsche Reich getrieben und transportiert wurden. Sicher ist: Er kam in das KZ Theresienstadt. Dort geschah das zweite Wunder. Denn unter den Häftlingen in Theresienstadt waren Samuels ältester Bruder Max und dessen Frau Edith. Max Altberger, der Anfang der 1930-er Jahre in der Marienstraße in Eschweiler ein eigenes Geschäft für Herrenbekleidung gegründet hatte, arbeitete in Theresienstadt in der jüdischen Selbstverwaltung des Lagers. Max war dort technischer Angestellter der Druckerei, seine Frau arbeitete als Sekretärin im Büro für Personalbeschaffung.

 

Eines Tages sah Edith Altberger auf einer Liste von neu angekommenen Häftlingen den Namen Altberger. Sannys jüngste Schwester Johanna schrieb viele Jahre später in ihren Lebenserinnerungen: „Edith erzählte mir, dass sie dann gemeinsam mit ihrem Mann Max meinen Bruder tagelang suchten und suchten, denn das Lager war riesig. Endlich fanden sie ein menschliches Skelett, das noch atmete, eingehüllt in eine Wolldecke, meinen Bruder Sanny. Und so überlebte er, indem sie ihm zu essen gaben, bis zur Befreiung des Lagers.“

 

Samuel Altberger emigrierte nach Kriegsende in die USA und heiratete dort Jenny, eine junge Frau, die gemeinsam mit seiner Schwester Sida/Sidonie das Frauen-KZ Ravensbrück überlebt hatte. Er arbeitete in Dallas als Fahrer in einem Lebensmittel-Unternehmen und starb 1989. Kinder hatte das Paar nicht – Jenny Altberger war durch „Experimente“ im Konzentrationslager unfruchtbar geworden, steht in den Erinnerungen ihrer Schwägerin.

 

Sanny Altbergers Geschwister Arnold und Rosa hingegen überlebten den Holokaust nicht. Arnold, der von Beruf Fußballtrainer war – in den 1920-er Jahren war er ein erfolgreicher Stürmer des Eschweiler Fußballclubs Grün-Weiß – kam 1942 als Zwangsarbeiter bei der Minensuche im östlichen Kriegsgebiet ums Leben. Die Friseurin Rosa Seiden, geborene Altberger, war zunächst mit ihrem Mann Marcus und ihren beiden Kindern Leon und Maurice nach Belgien geflohen. Die Familie wurde nach dem Einmarsch der Deutschen in ihrem Versteck in Brüssel entdeckt. Am 19. April 1943 wurden sie vom Internierungslager Malines aus nach Auschwitz geschickt. Die beiden Kinder und ihre Mutter wurden wahrscheinlich am gleichen Tag vergast. Ihr Vater wurde noch als Zwangsarbeiter ausgebeutet. Am 26. Januar 1945, also einen Tag, bevor die russische Armee Auschwitz erreichte, wurde Marcus Seiden ins Konzentrationslager Buchenwald bei Weimar ermordet.

An Rosa Seiden-Altberger erinnert ein Stolperstein, der in Köln verlegt wurde. Allerdings liegt er vor einem Haus, in dem die Familie Seiden nie gewohnt hat - dem jüdischen Waisenhaus, in dem Rosas überlebende Schwester Johanna und ihr Bruder Karl nach dem Tod der Eltern aufgewachsen sind.

Zuletzt geändert am: 28 Jan 2015 um 22:28:05

Zurück

Coded with valid XHTML, CSS and tested for WCAG Priority 2 Conformance.

Powered by Website Baker, design by Werbeagentur Toporowski

Copyright © 2012 - 2019