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Notizen & Neues 2017

Arme Juden, reiche Juden

Veröffentlicht von Administrator (admin) am 05 Mar 2017
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Behauptet wurde dort, Juden seien nicht wohlhabender gewesen als der Durchschnitt der Bevölkerung. Das habe man auch so in der Schule gelernt: „Im Geschichtsunterricht lernten wir (das war 1978-1981), dass der Antisemitismus zwar sehr stark von Neid auf Juden geprägt war, dass aber die deutschen Juden tatsächlich im Schnitt nicht wohlhabender gewesen seien als die übrigen Deutschen.“ Den Antisemitismus auf Sozialneid zurück zu führen, so einer der Diskussionsteilnehmer, sei ein „unheilvolles Stereotyp“. Wenn man den Antisemitismus kurzschlüssig auf eine vermeintliche Besserstellung der Juden schiebe, verdecke man vor sich und anderen die wahren Gründe für die Judenfeindlichkeit. Das seien besonders „die jahrhundertelange Tradition der Juden als verachtete Außenseitergruppe“ und „die Instrumentalisierung von bestehenden Stereotypen zur politischen Mobilisierung von Abgehängten der Mehrheitsgruppe“, also Antisemitismus als politische Waffe der Konservativen im Kaiserreich.

 

Diese beiden Argumente (erstens dass die deutschen Juden gar nicht so wohlhabend gewesen seien und zweitens dass, wer den Neid als einen der Wurzeln des Antisemitismus behaupte, damit zugleich die anderen Ursachen verharmlose) habe ich in jenem Diskussionsforum in zwei kleinen Aufsätzen zurück gewiesen, was die Diskussion dann auch sofort beendet hat. Da beide Vorstellungen aber offenbar verbreitet sind, veröffentliche ich hier eine gekürzte Zusammenfassung meiner Argumentation.



Warum es wichtig ist, den Neid als eine der Ursachen des Judenhasses zu erkennen

 

Zum ersten Punkt, dem wirtschaftlichen Erfolg der Juden in der Zeit zwischen etwa 1880 und 1930: Ich denke, das ist seit den Untersuchungen zur Steuerkraft der Juden durch Sombart (Werner Sombart: Die Juden und das Wirtschaftsleben, Leipzig 1911) wissenschaftlich derart gut belegt, dass ich nicht wüsste, wie man es bestreiten kann.

 

Die schrittweise gewährte Emanzipation der Juden im 19. Jahrhundert bot Möglichkeiten besserer Bildung und wirtschaftlichen Aufstiegs, die konsequent genutzt wurden. Der Anteil der Juden an der deutschen Gesamtbevölkerung lag bei rund 1 Prozent. Der Anteil bei den Studierenden betrug 1887 aber zehn Prozent, und 1930 lag er immer noch bei vier Prozent. Ähnlich war es beim Einkommen, wo sich die Verhältnisse auch nur allmählich anglichen. 1914 verdienten Juden noch etwa das Fünffache eines Durchschnittsdeutschen, 1928 war es nur noch – aber immerhin – das Dreifache (Angaben nach Arthur Ruppin: Soziologie der Juden).

 

Ablesbar ist das auch am Steueraufkommen. Im frühen 20. Jahrhundert zahlten die Juden in Frankfurt am Main „viermal so viel Steuern wie der durchschnittliche protestantische Stadtbürger und achtmal so viel wie ein Katholik.“ (Volkov, Juden in Deutschland, S.53)

 

Der Neid auf die Juden war vorhanden und wurde von den Nationalsozialisten natürlich noch geschürt. Ich habe mich durch ganze Jahrgänge des „Völkischen Beobachters“ gequält, in dem Stimmung gemacht wurde gegen jüdische Warenhäuser, die den armen arischen Ladenbesitzer in den Ruin treiben. In denen aufgefordert wurde „Kauft nicht beim Juden!“ In denen der jüdische „Raffer und Schacherer“ ebenso wie der „jüdische Intellektuelle“ verhöhnt wurden. Ich kenne Augenzeugenberichte von den Versteigerungen der Möbel von Juden, die zur Auswanderung gezwungen oder deportiert worden waren, und welche Stimmung der fröhlichen Genugtuung dort herrschte.

 

Schon vor der NS-Zeit sahen Vertreter des Judentums selber den wirtschaftlichen Erfolg als eine der Ursachen des Antisemitismus. So schrieb der Central-Verein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens 1918 anlässlich seines 25-jährigen Bestehens: „Der politische und der wissenschaftliche Antisemitismus wäre ohne den wirtschaftlichen wirkungslos geblieben. Der wirtschaftliche Aufschwung der Juden wurde der eigentliche Grund dafür, dass der Judenhass in den breiten Massen volkstümlich wurde.“ (Zitiert nach Götz Aly: Warum die Deutschen? Warum die Juden?, S.95). Natürlich kann man behaupten, dass sich der jüdische Verband damals irrte. Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass die Juden damals mehr Ahnung vom Judenhass hatten als Menschen, die heute – sicher mit viel gutem Willen – als Hobby-Historiker versuchen, die damalige Zeit zu verstehen.

 

Dass aus der besseren Bildung und den wirtschaftlichen Erfolgen Neid bei manchen nicht so Erfolgreichen erwuchs und dieser Neid zum Antisemitismus beitrug, lässt sich mit vielen Zitaten über Jahrzehnte hinweg belegen. Ich greife nur zwei heraus.

 

Schon der seinerzeit bekannteste deutsche Historiker Heinrich von Treitschke warnte 1879 in seinem Aufsatz über das Judentum „Unsere Aussichten“ vor den ostjüdischen Zuwanderern als einer „Schar strebsamer hosenverkaufender Jünglinge, deren Kinder und Kindeskinder dereinst Deutschlands Börsen und Zeitungen beherrschen sollen“.

 

Am anderen Ende des Zeitstrahls finde ich ein Zitat des amerikanischen Soziologen Everett C. Hughes, der 1948 Deutschland bereist hat. Er berichtet von einem Gespräch mit einem deutschen Architekten, den er so zitiert: „Die Juden, sie waren ein Problem. Sie kamen aus dem Osten. Sie sollten sie in Polen gesehen haben – die unterste Volksklasse, voller Läuse, verdreckt und arm. Dann kamen sie hierher, nach Deutschland, und wurden nach dem Ersten Weltkrieg mit schier unglaublichen Methoden reich. Sie besetzten alle guten Positionen. In der Medizin, in der Juristerei und im Beamtenapparat waren sie um das zehnfache überrepräsentiert.“ Letzteres war übrigens zu hoch gegriffen. Das mindert allerdings nicht den hier fühlbaren Neid.

 

Wichtig scheint mir, zu erkennen, dass der Antisemitismus viele Wurzeln hat: religiöse, politische, rassistische, aber eben auch wirtschaftliche, und das war schon bei manchen Pogromen im Mittelalter so. Der Neid auf die wirtschaftlich Erfolgreichen ist eine Wurzel von vielen. Jeder einseitige Blick auf ein so ernstes Thema verfälscht und führt zu falschen Urteilen und Vorurteilen.

 

Ich halte es ebenfalls für falsch, Aspekte eines vielschichtigen Themas auszuklammern, zu leugnen oder zu ignorieren. Der Neid auf die wirtschaftlich erfolgreichen Juden war ein Teil dessen, was in dem großen antisemitischen Brei der NS-Zeit schwamm. Aber gerade, weil Neid, Hass, Verachtung so menschliche, alltägliche Gefühle sind und von so vielen Menschen geteilt werden, ist es wichtig, diesen Teil nicht zu übersehen. Denn der Nationalsozialismus kam nicht wie ein Verhängnis über das deutsche Volk, wie ein Albtraum, aus dem man 1945 erwachte und sich verwundert die Augen rieb, was da denn passiert sei. Der Antisemitismus ist nicht nur eine Theorie, der man aus religiösen, politischen oder angeblich wissenschaftlichen Gründen angehangen hat, sondern er hat Wurzeln auch in zutiefst menschlichen Regungen, in Hass, in Furcht und in Neid.

 

Die Deutschen, wir, haben endlich gelernt, die Opfer dieser Zeit zu sehen und sichtbar zu machen, in Mahnmalen und Stolpersteinen. Das darf uns nicht dazu verleiten auf die Täter zu schauen, als seien sie wie eine fremde Besatzungsmacht über Deutschland gekommen, als „Nazi-Schergen“, die dann nach 1945 irgendwie verschwunden waren. Nein, es waren die Väter und Großväter von vielen von uns, und dass sie Täter werden konnten, hat auch damit zu tun, dass der Antisemitismus in der Bevölkerung eine Basis aus Empfindungen und Gefühlen hatte, die so menschlich sind wie Hass, Furcht und Neid.

 

Und eben weil Hass, Furcht und Neid so menschlich sind, halte ich es für wichtig, diese Wurzeln des Judenhasses: den Neid auf die damals wirtschaftlich Erfolgreichen, aber auch die Verachtung der Intellektuellen und all die weiteren gefühlsmäßigen Anteile des Antisemitismus, zu sehen und daraus zu lernen. Damit dass nicht wiederkommt.

Friedhelm Ebbecke-Bückendorf

 

 

Zuletzt geändert am: 05 Mar 2017 um 21:06:40

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